Eines der prestigeträchtigsten Werke des Kasseler Dokfilm Festivals dieses Jahr war sicher Ai Weiweis Film “Human Flow“. Der Film, der demnächst auch deutschlandweit anläuft, war dementsprechend gut besucht und der große Saal im Gloria bis auf den letzten Platz belegt. Nach einer kurzen Einführung durch die Gastgeber begann der Film mit einer der vielen absurd ästhetischen Sequenzen, die den Zuschauer durch ganzen Film begleiten werden. Ein weißer Vogel gleitet über das tiefblaue Mittelmeer in absoluter Stille. Gefolgt von einem kleinen Boot voller roter Punkte: Rettungswesten. Dieselbe Perspektive. Dieselbe Stille. Als Zuschauer weiß man zuerst nicht richtig, was man von dieser Ästhetik halten soll.
Doch der Film zieht einen sowieso zurück ins Geschehen. Wir sind jetzt ganz nah dran am Boot. An den Flüchtlingen. An den Gesichtern, die von Erschöpfung gezeichnet sind. Dies sind auch die Momente, in denen der Film große Stärken aufzeigt: Wenn den Flüchtlingen eine Stimme gegeben wird. Wenn ein Mann vor der Kamera völlig aufgelöst von den Menschen erzählt, die er auf der Flucht verloren hat. Wenn die Kamera einfängt, wie Menschen, vom Regen durchtränkt, in ihren Zelten ausharren. Wenn dann die eine Tür gezeigt wird, die Erlösung versprechen würde.
In solchen Momenten schaudert man, ob des Leids, das zum Teil vor “unser Haustür” geschieht.
Doch dann unterbricht der Film immer wieder mit sehr ästhetischen Einstellungen. Seelenruhig fliegt die Kamera durch zerstörte Landschafen in Syrien. Schwebt meterhoch über den Zeltstädten. Menschen bewegen sich als kleine Punkte durch diese Landschaften. Symmetrie und Chaos kontrastieren sich. Alles ist soweit weg. Und irgendwie absurd.
Absurditäten zeigt Ai Weiwei in seinem Film eine Menge: Im Vordergrund eine Leiche liegt und im Hintergrund fährt ein Truck vorbeit, aus dem laut Pop-Musik plärrt. Das Flüchtlings-Mädchen, das im Flüchtlingslager in Deutschland, die schlimmste Zeit seines Lebens durchmachtmacht, ob der Langeweile, die hier herrscht.
So führt Ai Weiwei den Zuschauer um den Globus. Von Syrien über Myanmar und Palästina bis an die Grenze zwischen Mexiko und den USA. Dadurch wünscht man sich oft von dieser oder jener Situation mehr zu erfahren. Gleichzeitig demonstriert es das Ausmaß der humanitären Katastrophe, wenn man in 170 Minuten trotzdem nur an der Oberfläche zu kratzen scheint.
“Human Flow” ist fraglos sehenswert. Man muss nicht alles mögen, nicht jede kreative Entscheidung unterstützen, und doch bleibt es ein wichtiger Beitrag zu der humanistischen Katastrophe unserer Zeit.
„Human Flow“
Deutschland, 2017
Regie: Ai Weiwei
http://www.humanflow.com/
Bastian, Henrik
Der Film erreicht einen von der ersten bis zur letzten Szene. Obwohl oft mit einer distanzierten Kamera immer hautnah am Geschehen der vielen Einzelschicksale. Hier erhebt sich wohl keiner aus seinem Kinosessel ohne mehr als nachdenklich zu sein. Der Film zeigt keine Lösung der Probleme der Welt, aber das wollte und konnte der Autor auch nicht. Dennoch sind Szenen zu finden mit Hoffnung auf Leben.
Wieviel Menschen sollte diesen Film sehen, aber sie schauen weg.
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