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Babystar von Joscha Bongard

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Poster von Babystar

„Babystar“ ist der 98-minütige Abschlussfilm von Joscha Bongard an der Filmakademie Ludwigsburg und zugleich ein satirisches Drama, das den Nerv unserer Social-Media-Gegenwart trifft. Familien, die ihr Privatleben für Klicks öffnen, sind längst keine Ausnahme mehr: Auf YouTube- und TikTok-Kanälen folgen Millionen Menschen den vermeintlich perfekten Alltagsmomenten anderer. Genau hier setzt Bongard an und stellt ein System infrage, in dem selbst intimste Beziehungen kapitalisiert werden.

Handlung

Im Zentrum steht die 16-jährige Luca, gespielt von Maja Bons. Sie ist von Geburt an ein Star, denn ihre Eltern haben damals den „Family-Blog“ als Geschäftsmodell gegründet. Als Luca älter wird, entscheiden sich ihre Eltern, ein zweites Kind zu bekommen, um ihren Business-Plan weiterzuführen. Die Teenagerin fühlt sich verraten und fürchtet, dass die Liebe ihrer Eltern an Likes, Views und ihrer Performance geknüpft ist. Der Film begleitet Luca auf der Suche nach ihrem wahren Selbst, das unter jahrelanger Vermarktung nahezu verschwunden ist. Luca versucht, sich aus Fremdbestimmung und Käuflichkeit zu lösen.

Kritik an einem System

Bongard formuliert die Grundfrage seines Films offen politisch in einem Interview mit uns: „Welches System haben wir kreiert, in dem Menschen auf einmal ihre intimsten Beziehungen kapitalisieren müssen, um ein gutes Leben zu haben? Und was macht Social Media mit uns allen, wenn wir nicht wissen, wohin dieses Menschenexperiment führt?“

Diese und weitere Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film: Wie viel Privatsphäre bleibt, wenn Kinder zur Marke werden? Was bedeutet Authentizität, wenn jede Emotion ein Content-Baustein ist? Oder wie verändert sich Familie, wenn sie zugleich ein Geschäftsmodell ist? Ein Kampf, den der Film leise, aber eindringlich erzählt.

Distanz als Spiegel der Social-Media-Oberfläche

Der Film ist visuell stark: farbenfroh, dynamisch, und zugleich durchdacht inszeniert. Besonders auffällig sind die häufigen Top-Shots, die wie eine ständige Überwachung wirken – passend zu Lucas Dauerpräsenz vor der Kamera. Auffällig ist auch die emotionale Distanz zu den Figuren. Als Zuschauer*in komme ich ihren Gefühlen selten richtig nahe; vieles muss über Blicke und Gesichtsausdrücke gelesen werden. Genau diese Zurückhaltung funktioniert als Kommentar auf Social-Media-Authentizität: Auch dort sieht man meist nur Oberfläche und selten das Innenleben. Die Szenen, in denen Luca z.B. ihr Outfit-Video zum zehnten Mal nachdreht, legt offen, wie konstruiert „Natürlichkeit“ online eigentlich ist.

Maja Bons – eine starke Hauptfigur

Maja Bons trägt den Film maßgeblich. Mit eher wenigen Worten, aber intensiver Mimik und präziser Körpersprache zeigt sie Lucas innere Leere, ihre Überforderung und schließlich ihren Widerstand. Die elterlichen Figuren bleiben bewusst schwer greifbar – eine Entscheidung, die Bongard selbst im Gespräch mit dem Publikum erläutert. Diese emotionale Distanz verdeutlicht meiner Meinung nach, wie sehr der „Family-Blog“ für die Eltern zur Normalität geworden ist, bis der Übergang zwischen Beziehung und Business nahezu verschwimmt. Gleichzeitig blitzen immer wieder Momente echter Fürsorge auf, was die Ambivalenz der familiären Dynamik noch stärker herausarbeitet.

Ein wichtiger Film in der heutigen Zeit

„Babystar“ ist ein dringlicher, politischer und zeitgemäßer Film. Bongard legt in seinem Spielfilm schonungslos offen, wie problematisch Social-Media-Familienstrukturen sein können und wie wenig Raum für echte Selbstfindung bleibt, wenn ein Kind von klein auf zur Marke gemacht wird. Der Film lässt Zuschauer*innen mit der Frage zurück, was wir selbst eigentlich auf Social Media konsumieren und inwiefern wir durch unser Klickverhalten diese Familienmodelle mit am Leben erhalten.

Ein unbedingt empfehlenswerter Film – gerade in einer Zeit, in der digitale Selbstdarstellung längst Teil des Alltags geworden ist.

Hier geht’s zu den Interviews mit Joscha Bongard auf TikTok.

Eine Filmrezession von Ole, Katharina und Lina.

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